Die Auswirkung des Coronavirus auf das Arbeitsverhältnis
Die 12 wichtigsten Fragen
1. Haben Arbeitnehmer Anspruch auf Vergütung, wenn der Arbeitgeber wegen Corona von der Arbeit freistellt?
Ja. Bei einer Freistellung durch den Arbeitgeber behalten Arbeitnehmer immer ihren Vergütungsanspruch.
2. Besteht ein Vergütungsanspruch, wenn Arbeitnehmer aus Furcht vor einer Corona-Ansteckung von sich aus zu Hause bleiben?
In diesem Fall verlieren die Arbeitnehmer den Vergütungsanspruch. Sie tragen grundsätzlich das sog. Wegerisiko. Auch wenn man im Winter den Betrieb nicht erreichen kann, verlieren Arbeitnehmer gem. § 326 Abs. 1 BGB den Entgeltzahlungsanspruch. Ähnliches gilt auch bei einem Smogalarm.
Bleiben Arbeitnehmer zu Hause, fehlen sie überdies unentschuldigt. Ein allgemeines Leistungsverweigerungsrecht besteht auch bei drohenden Pandemien nicht. Das Fehlen kann bis zu einer Abmahnung oder Kündigung führen.
3. Haben Arbeitnehmer einen Anspruch auf Arbeit im Home-Office?
Ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht der Arbeitnehmer dergestalt, zu Hause arbeiten zu können (Home-Office) existiert nicht. Auch in diesem Fall läge – wenn der Arbeitnehmer zu Hause bleibt – eine Arbeitspflichtverletzung vor, die überdies auch zum Wegfall des Entgeltzahlungsanspruchs führt.
Natürlich können sich die Parteien einvernehmlich darauf verständigen, das Arbeitnehmer vorerst von zu Hause arbeiten. Das setzt aber Einvernehmen voraus.
Bestehen schon Home-Office-Regelungen im Betrieb, wird der Druck auf Arbeitgeber steigen, diese zumindest vorübergehend auszudehnen.
Die Anforderungen an eine zulässige Vereinbarung eines Home-Office sind im Hinblick auf die Qualität der Arbeitsmittel oder des Arbeitsplatzes und in Bezug auf datenschutzrechtliche Aspekte recht hoch. Daher dürfte umgekehrt der Arbeitgeber auch nicht einseitig Home-Office anordnen können. Auch das spricht für einvernehmliche Lösungen.
4. Ist der Arbeitgeber zur Vergütung verpflichtet, wenn Corona für einen Auftrags- oder Rohstoffmangel sorgt?
Grundsätzlich trägt der Arbeitgeber das sog. Wirtschaftsrisiko. Das sind Fälle, in denen wegen Auftrags- oder Absatzmangel der Betrieb technisch weitergeführt werden kann, aber ein Arbeitsausfall eintritt. Ein solcher Fall liegt vor, wenn Lieferanten – z.B. aus China – ihre Vorprodukte nicht anliefern können und daher die Produktion ausfällt. Hier muss der Arbeitgeber weiterhin das Arbeitsentgelt zahlen. Dass er die (angebotene) Arbeitsleistung nicht verwerten kann – weil er keine Aufträge oder Vorprodukte aufgrund langer Lieferketten hat – fällt in sein Wirtschaftsrisiko.
5. Gilt bei einer Coronavirus-Erkrankung der übliche Anspruch auf Entgeltfortzahlung? Wie verhält es sich, wenn lediglich der Verdacht auf eine Ansteckung vorliegt? Besteht während einer Quarantäne Arbeitspflicht?
Ist der Arbeitnehmer am Corona-Virus erkrankt, hat er gem. § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) wie jeder Arbeitnehmer den Anspruch auf Entgeltfortzahlung bei Erkrankungen für die Dauer von sechs Wochen. Teilweise sind diese Fristen arbeits- oder tarifvertraglich länger. Freie Mitarbeiter haben diesen Anspruch mangels Arbeitnehmereigenschaft nicht.
Der Ablauf ist ein anderer, wenn gegen den am Corona-Virus erkrankten Arbeitnehmer zugleich nach § 31 Satz 2 Infektionsschutzgesetz (IfSG) ein berufliches Tätigkeitsverbot angeordnet worden ist. Dann konkurriert der Entgeltfortzahlungsanspruch mit dem Entschädigungsanspruch des Arbeitnehmers infolge des Tätigkeitsverbotes nach § 56 Abs. 1 IfSG. Danach wird derjenige, wer als Ausscheider einer Infektion, als Ansteckungsverdächtiger, als Krankheitsverdächtiger oder sonstiger Träger von Krankheitserregern im Sinne des § 31 Satz 2 IfSG einem Verbot der Ausübung seiner Arbeitstätigkeit unterliegt, vom Staat in Höhe seines Verdienstausfalls für die Dauer von sechs Wochen entschädigt (so in § 56 Abs. 2 und Abs. 3 IfSG geregelt).
Dabei tritt der Arbeitgeber in Vorleistung, ist also quasi „Auszahlstelle“ für den Staat (§ 56 Abs. 5 Satz 1 IfSG). Die ausgezahlten Beträge werden vom Arbeitgeber auf Antrag bei der zuständigen Behörde (in Nordrhein-Westfalen und den meisten anderen Bundesländern sind dies die Bezirksregierungen) erstattet (§ 56 Abs. 5 Satz 2 IfSG). Die Erstattung erfolgt aber nur auf Antrag des Arbeitgebers. Ist der Arbeitgeber entgegen der gesetzlichen Pflicht nicht in Vorleistung getreten, kann auch der Arbeitnehmer diesen Antrag stellen (§ 56 Abs. 5 Satz 3 IfSG).
Nach h.M. geht wegen der öffentlich-rechtlichen Zwangswirkung das infektionsschutzrechtliche Beschäftigungsverbot der Erkrankung des Arbeitnehmers vor. Das gilt natürlich nur dann, wenn ein solches Beschäftigungsverbot in Bezug auf einen – erkrankten – Arbeitnehmer ausgesprochen worden ist. Dann soll es am Entgeltfortzahlungsanspruch fehlen, weil die Erkrankung nicht monokausal für den Ausfall der Arbeitsleistung war (so sieht es beispielsweise auch Greiner in Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Band I, 4. Auflage 2018, § 80 Rn. 41, nicht unumstritten).
Besteht lediglich der Verdacht auf eine Ansteckung, besteht auch hier ein Entschädigungsanspruch gem. § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG, wenn ein behördliches Beschäftigungsverbot nach § 31 IfSG angeordnet worden ist. Das Tätigkeitsverbot kann sich auf einzelne Arbeitnehmer oder behördlich definierte Gruppen beziehen.
Kausal für die Arbeitsverhinderung ist dann nicht die vermutete Krankheit als solche, sondern das Beschäftigungsverbot. Damit besteht dann kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Häufig wird überdies ja noch nicht einmal eine Krankheit vorliegen, da nur ein Verdachtsfall besteht.
Die Fälle der Quarantäne (geregelt in § 30 IfSG) sind gleich zu behandeln: Hier wird infolge der Quarantäne ein Beschäftigungsverbot ausgesprochen werden. Dann besteht der Entschädigungsanspruch gem. § 56 IfSG. Erkrankt ist der unter Quarantäne stehende Arbeitnehmer nicht, so dass deshalb kein Anspruch aus Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall bestehen kann.
6. Besteht bei einer behördlichen Betriebsschließung der Vergütungsanspruch der Arbeitnehmer?
Wird der Betrieb – z.B. auf der Grundlage des § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 IfSG – geschlossen, weil in Bezug auf den gesamten Betrieb oder Gruppen von Arbeitnehmern ein Infektionsrisiko besteht (Stadtverwaltungen, Schulen, Kindergärten, Krankenhäuser, Arztpraxen usw.), kann man die Grundsätze der vom RG im Jahre 1923 angewandten Betriebsrisikolehre anwenden.
Betriebsrisikofälle kennen wir bei der Unterbrechung der Energieversorgung, der Einwirkung von Naturereignissen, dem Ausbleiben von Rohstoffen oder dem Auftreten von Maschinenschäden und der daraus folgenden Einstellung oder Einschränkung des Betriebes. Ein Verschulden des Arbeitgebers liegt nicht vor.
Nach der Rechtsprechung trägt der Arbeitgeber dann das Betriebsrisiko infolge behördlicher Maßnahmen – also der Betriebsschließung – wenn dieses Risiko der behördlichen Maßnahme im Betrieb durch dessen besondere Art angelegt gewesen war. Es kommt also auf die Eigenart des Betriebes an.
Bei der Staatstrauer nach Hindenburgs Tod im Jahre 1934 behielten die Musiker einer Tanzkapelle ihren Entgeltanspruch. Dem Tanzlokal wohnte das Risiko solcher Schließungen wegen Staatstrauer inne. Der Arbeitgeber musste es tragen und Lohn zahlen.
Das BAG hat ähnliches 1963 anlässlich einer Landestrauer in Nürnberg entschieden.
Auch das Flugverbot aufgrund einer Aschewolke oder wegen eines auf einem einzelnen Betrieb bezogenen Verbots wegen Smogalarms ist vom Arbeitgeber zu tragen.
Wird ein Bankbetrieb aufgrund aufsichtsrechtlicher Maßnahmen der BaFin vorübergehend eingestellt, muss der Arbeitgeber den Lohn weiterzahlen
Nicht zum Betriebsrisiko gehören allgemeine Gefahrenlagen wie Kriege, Unruhen und Terroranschläge. Manche zählen dazu auch Epidemien (so Krause in HWK, Arbeitsrecht Kommentar, 8. Auflage 2018, § 615 BGB, Rn. 116).
Überträgt man die Grundsätze auf die Corona-Fallgestaltungen, liegt beispielsweise bei Hochschulen, bei denen notwendigerweise ein breiter Personenkontakt besteht, bei Kindertagesstätten, Schulen, allgemein zugänglichen öffentlichen Verwaltungen, bei Veranstaltungsunternehmen, bei Messen, bei Kaufhäusern usw. ohne weiteres die besondere Eigenart vor, dass Kontakt zu Menschen mit infektiösen Erkrankungen besteht. Ebenso ist es die Eigenart dieser Betriebe, dass eigene Mitarbeiter mit Menschen in Kontakt kommen, sich infizieren oder der Verdacht einer Infektion besteht und daher Betriebsschließungen ausgesprochen werden können. Das spricht aus meiner Sicht dafür, dass hier die Eigenart dieser Betriebe als das Betriebsrisiko des Arbeitgebers anzusehen ist, so dass der Arbeitgeber den Vergütungsanspruch der Arbeitnehmer weitertragen muss.
Diese Grundsätze dürften auch in Krankenhäusern, Arztpraxen usw. gelten.
Das gibt die klare Indikation, dass in jedem Fall die Entschädigungsansprüche nach § 56 IfSG von Seiten der Arbeitgeber bzw. der Arbeitnehmer geltend zu machen sind, um den Versuch der Risikobegrenzung zu unternehmen. Diesbezügliche Anträge sollten gestellt werden.
7. Besteht ein Anspruch auf Entschädigung, wenn Arbeitnehmern aufgrund Corona verboten wird, ihrer Erwerbstätigkeit nachzugehen?
Ja: Der Entschädigungsanspruch ist in § 56 Abs. 1 IfSG geregelt. Die Grundsätze sind oben bei Ziffer 5 dargestellt. Wichtig ist noch, dass der Arbeitgeber einen Vorschuss für die Entgeltzahlungen verlangen kann (so § 56 Abs. 12 IfSG), was insbesondere bei Kleinbetrieben interessant sein kann.
Zuschüsse des Arbeitgebers – die er ggf. freiwillig zahlt – sind zugunsten des Staates auf die Entschädigung anzurechnen (§ 56 Abs. 8 Satz 1 IfSG).
Anträge des Arbeitgebers auf Erstattung – der Arbeitgeber geht ja in Vorleistung – sind innerhalb einer Frist von drei Monaten nach Einstellung der verbotenen Tätigkeit aufgrund Beschäftigungsverbots gem. § 31 IfSG oder dem Ende der „Absonderung“ (mit Absonderung ist die Quarantäne nach § 30 IfSG gemeint) bei der zuständigen Behörde (Bezirksregierung) zu stellen, so regelt es § 56 Abs. 11 Satz 1 IfSG.
Neben den Entschädigungsanspruch nach § 56 IfSG tritt noch ein Anspruch nach § 616 BGB, wenn der Arbeitnehmer für eine vorübergehend kurze Zeit aus persönlichen – also subjektiven – Gründen verhindert ist, die Leistung zu erbringen. Das kann bei Infektionen grundsätzlich der Fall sein, wie die ordentlichen Gerichte schon in den 60iger Jahren entschieden haben. Allerdings dürfte dies nur absolute Einzelfälle, wie etwa an Salmonellen erkrankte Metzgergesellen (ein Fall des BGH) oder Paratyphusfälle (ein Fall des LG Düsseldorf) betreffen.
Handelt es sich um ein Beschäftigungsverbot für ein Unternehmen in der Gesamtheit oder um eine allgemeine Pandemie, so liegt kein individuell in der Person liegendes Leistungshindernis vor (diesen Fall regelt § 616 BGB), sondern ein objektives Leistungshindernis. Dann dürfte die Norm nicht anwendbar sein. Das wird bei „allgemeinen Untersagungen des Geschäftsbetriebs“ der Fall sein. Allerdings befindet man sich hier im „Dickicht des Meinungsstandes zu § 616 BGB“. Diese Norm wird von einigen Autoren doch recht extensiv ausgelegt, von anderen wiederum auf die „echten“ in der Person des einzelnen Arbeitnehmers liegenden Leistungshindernisse beschränkt.
Das ist auch praktisch wichtig, Nach Auffassung sowohl des BGH als auch des LG Düsseldorf sind im Fall der weiter bestehenden Verpflichtung zur Entgeltzahlung aus § 616 BGB durch den Arbeitgeber die Entschädigungsansprüche gegen den Staat nach § 56 IfSG ausgeschlossen. Die Anwendung des § 616 BGB entlastet damit den Staat.
Genau diese Frage wird bei Entschädigungsbegehren gegen den Staat eine Rolle spielen. Arbeitgeber müssen demzufolge damit argumentieren, dass ein objektiver Verhinderungsgrund wegen der allgemeinen Pandemie bzw. allgemeinen Untersagung des Geschäftsbetriebes in Bezug auf Arbeitnehmergruppen ihres Unternehmens bestanden habe. Krause (in HWK, 8. Auflage 2018, § 616 BGB, Rn. 35, 17) sieht Epidemien als objektive Leistungshindernisse, die nicht vom Arbeitgeber einzukalkulieren und damit in der Vergütungsfortzahlung zu tragen sind.
7a. Besteht ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung, wenn Arbeitnehmer lediglich mittelbar wegen Corona ihrer Erwerbstätigkeit nicht nachgehen können?
Diese Konstellation tritt z.B. ein, wenn der Kindergarten coronabedingt vorübergehend schließt, die Eltern des Kindergartenkindes dessen Betreuung selbst organisieren müssen und es ihnen deshalb (zeitweise) unmöglich ist, ihre Pflicht zur Arbeitsleistung zu erfüllen.
Dies ist jedenfalls kein Fall, in dem ein Entschädigungsanspruch gem. IfSG in Betracht kommt. Der Arbeitgeber ist aber möglicherweise nach § 616 BGB zur Entgeltfortzahlung verpflichtet. § 2 Abs. 1 Pflegezeitgesetz entnimmt die herrschende Meinung, dass ein Zeitraum von bis zu zehn Tagen als eine „verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit“ im Sinne des § 616 Satz 1 BGB an-zusehen ist. Die Vorschrift wird allerdings so verstanden, dass ein Anspruch auf Entgeltfort-zahlung nur besteht, wenn (und nicht „soweit“) der Arbeitnehmer vorübergehend verhindert ist (vgl. Krause in HWK, 8. Auflage 2018, § 616 BGB, Rn. 37). Wird z.B. die Schließung des Kindergartens sogleich für zwei Wochen erklärt, besteht überhaupt kein Anspruch nach § 616 BGB.
Die Vorschrift ist im Übrigen abdingbar; ist im Arbeitsvertrag die Anwendung von § 616 BGB wirksam ausgeschlossen, muss der Arbeitgeber eine Entgeltfortzahlung nach dieser Vorschrift nicht befürchten.
Besteht ein Anspruch gem. § 616 BGB nicht, so können die betroffenen Arbeitnehmer weder auf „Pflegeunterstützungsgeld“ gem. § 44a Abs. 3 SGB XI noch auf „Krankengeld wegen Er-krankung des Kindes“ gem. § 45 SGB V hoffen – denn das Kind selbst ist ja weder krank noch pflegebedürftig (vgl. § 7 Abs. 4 PflegeZG in Verbindung mit §§ 14, 15 SGB XI).
8. Welche Vorsichtsmaßnahmen muss der Arbeitgeber in Bezug auf Corona / COVID-19 einleiten?
Jeden Arbeitgeber treffen arbeitsrechtliche Schutzpflichten, insbesondere die Pflicht zum Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmer.
Praktische Maßnahmen sind die Bereitstellung von Desinfektionsmitteln an geeigneten Standorten (Eingang, Toiletten), Hinweise zu deren Benutzung und verstärktes Hinwirken auf die Einhaltung der Hygienestandards.
Inwieweit Arbeitgeber selbst initiierte Präventivmaßnahmen der Mitarbeiter dulden müssen, hängt von den Umständen ab. Es bedarf einer Interessenabwägung (§ 315 Abs. 3 Satz 1 BGB). Besteht eine erhöhte Infektionsgefahr durch regelmäßigen Kontakt mit potentiell infizierten Personen, wie beispielsweise in der medizinischen Versorgung oder am Flughafen, wird der Arbeitgeber Schutzmaßnahmen wie z.B. Mundschutz dulden müssen.
Gegen ein Verbot des Arbeitgebers Mundschutz zu tragen, hatte sich der Betriebsrat des Betreibers von Duty-Free-Shops an Berliner Flughäfen gewandt. Dort hatte der Arbeitgeber zunächst untersagt, während der Arbeit – insbesondere bei Ankunft von Flügen aus China – Mundschutz und Handschuhe zu tragen. Bevor über die Reichweite des Mitbestimmungsrechts gem. § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG entschieden werden konnte (Arbeitsgericht Berlin 55 BV Ga 2341/20, LAG Berlin-Brandenburg PM 12/20 v. 04.03.2020) hatte der Arbeitgeber nachgegeben und schriftlich erklärt, Beschäftigte könnten bei der Arbeit Mundschutz und Handschuhe tragen, falls sie dies wollen. Sicherlich in der konkreten Gefährdungssituation eine richtige Entscheidung, die auch der an Billigkeit orientierten Weisungsbefugnis hinsichtlich Ordnung und Verhalten (§ 106 Satz 2 GewO) entspricht.
Spannender ist die Frage, ob und wann der Arbeitgeber Arbeitnehmer bei abstrakten oder konkreten Verdacht der Infektion freistellen kann. Bei der Freistellung durch den Arbeitgeber behält der Arbeitnehmer zwar den Vergütungsanspruch. Der Arbeitnehmer hat jedoch einen Beschäftigungsanspruch, so dass der Arbeitnehmer vielleicht nicht vom Arbeitsplatz entfernt werden mag. Besonders würde dies wohl gelten, wenn der Arbeitgeber sich einzelne Arbeitnehmer auswählt, ohne aus sachlichen Gründen zu differenzieren.
Arbeitgeber können aus sachlichen Gründen auch ohne vertragliche Vereinbarung im Rahmen der konkreten Gefährdung der Arbeitgeberinteressen zumindest kurzfristig freistellen. Es spricht – vor allem im Hinblick auf die gegenwärtige Unsicherheit – manches dafür, dass Arbeitgeber bei auf Tatsachen gestützten Verdachtsmomenten von einem sachlichen Grund ausgehen dürfen und freistellen können. Das wäre beispielsweise der Fall, wenn einzelne Krankheitssymptome auftreten oder sich der Arbeitnehmer zuvor in einem Risikogebiet (vielleicht auch in Risikozonen, wie in der Karnevalssitzung in Gangelt/Heinsberg) aufgehalten haben.
Hat der Arbeitgeber Kenntnis von der Erkrankung, muss er den Mitarbeiter nach Hause schicken. Das gilt aber schon immer aufgrund der Fürsorgepflicht.
9. Gelten besondere Fürsorgepflichten für Arbeitgeber, die aus China, Italien oder einem anderen Gefahrengebiet zurückkehrende Arbeitnehmer beschäftigen?
Kehren Arbeitnehmer aus Risikogebieten (China, Italien, Iran usw. und weitere bundesdeutsche Risikogebiete) in den Betrieb zurück, wird man Arbeitgeber trotz der besonderen datenschutzrechtlichen Pflichten bei der Preisgabe personenbezogener Daten der Arbeitnehmer für verpflichtet halten, die anderen Arbeitnehmer darüber zu informieren (§ 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG und § 26 Abs. 3 Satz 1 BDSG im Krankheits- oder Verdachtsfall).
Sinnvollerweise sollten die zurückkehrenden Arbeitnehmer – zumindest von der Rückkehr aus China – für einige Tage freigestellt werden, ärztlich untersucht werden (Schnelltest), um eine Ansteckung auszuschließen. Da die Zeit bis zum Auftreten der Symptome 14 Tage betragen kann, genügt die Beobachtung in diesen besonderen Situationen nicht.
10. Dürfen Arbeitgeber anordnen, Dienstreisen in eines der Gefahrengebiete zu unternehmen?
Für die Gebiete, für die das Auswärtige Amt eine Reisewarnung herausgegeben hat, gilt, dass der Arbeitnehmer der Anweisung dorthin zu fahren, nicht Folge leisten muss. Eine solche Anweisung dürfte nicht mehr dem billigen Ermessen nach § 106 GewO entsprechen. Es überwiegt das Interesse des Arbeitnehmers am Schutz seiner Gesundheit.
11. Können Arbeitgeber aufgrund von Corona Kurzarbeitergeld beantragen? Wie müssen Arbeitgeber vorgehen?
Liegt Auftrags- und Rohstoffmangel vor, trägt der Arbeitgeber grundsätzlich das Wirtschaftsrisiko.
Die Bundesagentur für Arbeit hat – zuletzt in einer Pressemitteilung vom 28.02.2020 – darauf hingewiesen, dass ein aufgrund oder infolge des Corona-Virus und/oder der damit verbundenen Sicherheitsmaßnahmen eingetretener Arbeitsausfall im Regelfall auf einem „unabwendbaren Ereignis“ oder auf „wirtschaftlichen Gründe“ im Sinne des § 96 Abs. 1 Nr. 1 SGB III beruht und daher Kurzarbeitergeld bei vorübergehendem Arbeitsausfall zu gewähren ist.
Ausdrücklich wird dies konkretisiert für den Fall, dass „staatliche Schutzmaßnahmen dafür sorgen, dass der Betrieb vorübergehend geschlossen wird.“ Daher kann der Arbeitsausfall mit Hilfe des konjunkturellen Kurzarbeitergeldes damit grundsätzlich Höhe des Kurzarbeitergeldes kompensiert werden.
Wichtig ist, dass Betriebe und Unternehmen die Kurzarbeit anzeigen und auch entsprechende Anträge stellen. Ohne Antrag kein Kurzarbeitergeld. Ich empfehle die Lektüre der Seiten der Bundesagentur für Arbeit.
Arbeitsrechtlich setzt die Kurzarbeit voraus, dass entweder eine entsprechende Kurzarbeitsklausel im Arbeitsvertrag enthalten ist, Kurzarbeit durch Tarifvertrag ermöglicht wird oder – was der praktisch der häufigste Fall sein wird – über Kurzarbeit eine Betriebsvereinbarung mit dem Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG abgeschlossen wird.
Denkbar ist auch, dass zunächst Überstundenguthaben abgebaut werden, wobei auch hier die individualrechtliche Anordnungsbefugnis und/oder die Mitbestimmung des Betriebsrats zu beachten ist.
Zumindest nach dem bisherigen Stand besteht kein Anspruch auf Kurzarbeitergeld, wenn das Unternehmen aus freier Entscheidung zur Risikominimierung beschließt, den Betrieb vorübergehend einzustellen. Es liegt keine ursächliche Veranlassung durch Corona vor. Der Arbeitgeber bleibt zur Zahlung der vollen Vergütung verpflichtet, ohne Kurzarbeitergeld nutzen zu können.
12. Mit welchen Leistungen können Arbeitgeber beim Kurzarbeitergeld rechnen? Was ist in Bezug auf Leistungen aus dem Infektionsschutzgesetz zu beachten?
Die Leistungen aus dem Kurzarbeitergeld bleiben hinter denen des Entschädigungsanspruches nach § 56 Abs. 2, 3 IfSG, der für die Dauer von sechs Wochen den Verdienstausfall und damit das volle Arbeitsentgelt gewährt, zurück.
Die Arbeitnehmer ihrerseits erhalten lediglich 60% der Nettoentgeltdifferenz bzw. bei einem überhöhten Leistungssatz nach den Vorschriften über das Arbeitslosengeld 67%. Inwieweit sich Arbeitgeber zur Aufstockung verpflichten, ist deren Entscheidung oder Verhandlungsergebnis mit dem Betriebsrat.
Auch der Arbeitgeber wird nicht vollständig entlastet, da er weiterhin zur Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge auf das gesamte Entgelt verpflichtet ist.
Erhält der Arbeitnehmer wegen eines behördlichen Beschäftigungsverbotes Entschädigung nach § 56 IfSG, geht der Anspruch auf Entschädigung gegen den Staat bei Gewährung von Arbeitslosengeld oder Kurzarbeitergeld auf die Bundesagentur für Arbeit über. So regelt es § 56 Abs. 9 IfSG. Die Versichertengemeinschaft soll also gegenüber staatlichen Entschädigungsansprüchen entlastet werden.
Quelle:
Rechtsanwalt Dr. Detlef Grimm (Rechtsanwaltskanzlei Loschelder, Köln)
unter: https://www.juris.de/jportal/nav/juris_2015/aktuelles/magazin/coronavirus-arbeitsrecht.jsp
Muster Betriebsvereinbarung Kurzarbeit
Gestaltungsraster DV Kurzarbeit
Quelle: www.boeckler.de © Hans-Böckler-Stiftung – Archiv Betriebliche Vereinbarungen
7 Fragen und Antworten zu Corona und Mitbestimmung
In Zeiten der »Corona-Krise« ist die Interessenvertretung besonders gefordert, um die Beschäftigten zu schützen. Was sollte sie jetzt tun? Wie sieht die Mitbestimmung aus, wenn der Arbeitgeber alle Beschäftigten ins Homeoffice schicken will oder Fiebermessen vor der Arbeitsaufnahme anordnet? Unser Experte Prof. Dr. Wolfgang Däubler gibt Antworten.
- Welche Rolle hat der Betriebsrat/Personalrat beim Thema Corona? Was sollten Interessenvertretungen jetzt tun?
Jeder Betriebsrat und jeder Personalrat wird sich automatisch darum kümmern, ob der Betrieb bzw. die Dienststelle von der Corona-Seuche betroffen ist. Gibt es eine infizierte Person? Hat jemand Symptome, die auf eine Infektion hindeuten? Und wenn nein: Besteht eine besondere Gefahr durch ausgedehnten Publikumsverkehr? Gibt es Risikogruppen im Betrieb, z. B. Personen mit geschwächtem Immunsystem oder Rentner über 65? Wie verhalten sich vergleichbare Betriebe und Dienststellen? Alle diese Fragen muss sich in erster Linie der Arbeitgeber stellen, aber die Interessenvertretung tut gut daran, sich auch ihrerseits um die Probleme zu kümmern. Nicht selten wird es auch zu Gesprächen und einem Meinungsaustausch mit der Arbeitgeberseite kommen. Irgendwie sind ja alle in vergleichbarer Weise betroffen.
- Wie sieht die Mitbestimmung aus, wenn der Arbeitgeber bestimmte Hygiene- und Sicherheitsmaßnahmen, z.B. das Tragen eines Mundschutzes, Fiebermessen vor der Arbeitsaufnahme einführen will?
In der Regel wird hier die Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG über »Ordnung des Betriebs« und »Verhalten der Arbeitnehmer im Betrieb« eingreifen. Anerkannt ist z. B., dass das Tragen einer bestimmten Dienstkleidung oder einer Uniform der Mitbestimmung unterliegt. Für die Atemmaske kann deshalb nicht anderes gelten. Dasselbe gilt beim Fiebermessen ohne Körperkontakt – wobei man sich die Frage stellen muss, ob das nicht eine unverhältnismäßige Maßnahme ist, wenn es im Betrieb nicht einmal Verdachtsfälle gibt und wenn man auch so gut wie keinen Publikumsverkehr hat. Hier wäre ich gegen eine Zulässigkeit.
In der Personalvertretung des Bundes ergibt sich das Mitbestimmungsrecht des Personalrats aus § 75 Abs. 3 Nr. 15 BPersVG. Im Übrigen findet man in der Zeitschrift »Arbeitsrecht im Betrieb« (AiB) Heft 1/2010 Antworten auf viele Fragen: Damals ging es um die »Schweinegrippe«, die dann nicht zur Pandemie wurde. Insbesondere in den Beiträgen von Kiesche/Rudolph und von Felser/Winkel sind zahlreiche Probleme angesprochen, die uns auch heute beschäftigen.
- Was kann der Betriebsrat/Personalrat tun, wenn der Arbeitgeber keine Schutzmaßnahmen für Beschäftigte bewilligt?
Gerade weil die Schutzmaßnahmen der Mitbestimmung unterliegen, kann auch der Betriebsrat bzw. der Personalrat die Initiative ergreifen. Er kann also z. B. verlangen, dass Desinfektionsmittel verfügbar sind oder dass man niemandem mehr im Betrieb mit Handschlag begrüßt. Vorschläge dieser Art diskutiert man am besten zunächst mit den Kolleginnen und Kollegen; sind die meisten dafür, wird man sich an den Arbeitgeber wenden, der sich in der aktuellen Situation kaum dagegen stellen wird. Schließlich wäre es irgendwie grotesk, wenn über eine solche Frage die Einigungsstelle entscheiden müsste.
- Wie sieht die Mitbestimmung aus, wenn der Arbeitgeber alle Beschäftigten ins Homeoffice schicken will?
Typische Juristenantwort: Das kommt darauf an. Existiert eine Betriebs- bzw. eine Dienstvereinbarung über die Arbeit im Homeoffice, so kann der Arbeitgeber von den dort vorgesehenen Möglichkeiten natürlich Gebrauch machen. Ist etwa vorgesehen, dass der Einzelne die ganze Woche über zu Hause arbeiten kann und nur zu Besprechungen in die Firma kommen muss, so kommt das »Nach-Hause-Schicken« durchaus in Betracht. Rechtlich könnte sich der Einzelne wehren, wenn es sich um ein Recht und keine Pflicht handelt, aber faktisch wird sich da niemand dagegen stellen.
Die rechtliche Ausgangssituation ändert sich, wenn gar keine Vereinbarung existiert oder wenn diese nur ein oder zwei Homeoffice-Tage vorsieht. Hier könnte der Einzelne »Nein« sagen, denn der Arbeitgeber kann niemand »nach Hause versetzen«: Die Grundlagen des Arbeitsverhältnisses ändern sich, wenn nicht mehr mit den Gegenständen des Arbeitgebers, sondern zumindest teilweise mit eigenen gearbeitet wird.
Allerdings gibt es eine beiderseitige Pflicht zur Rücksichtnahme. Ist die Arbeit in Betrieb oder Dienststelle mit beträchtlichen Risiken verbunden (weil sich z. B. ein Kollege als Verdachtsfall krank gemeldet hat), so kann es die ungeschriebene Pflicht zur Rücksichtnahme gebieten, dass man zu Hause arbeitet, auch wenn das sonst nicht vorgesehen ist: Der Arbeitgeber nimmt auf die Ansteckungsgefahr Rücksicht und lässt keine betriebliche Arbeit mehr zu, die Arbeitnehmer nehmen auf die betrieblichen Interessen Rücksicht und machen zu Hause weiter an einem »improvisierten« Arbeitsplatz.
Das geht natürlich nicht bei allen Tätigkeiten: Wer eine Maschine zu bedienen hat, muss vor Ort sein. Kunden Beraten kann man demgegenüber auch telefonisch, d. h. von zu Hause aus. Eine solche außerplanmäßige Arbeit in der Wohnung hängt allerdings von der Zustimmung des Betriebsrats bzw. des Personalrats ab: Das betriebliche Arbeitnehmerverhalten ist betroffen. Auch werden sich faktisch Abweichungen von den bestehenden Betriebsvereinbarungen zur Arbeitszeit ergeben.
- Sollten Betriebsräte/Personalräte neue Betriebsvereinbarungen abschließen, um z.B. Hygienevorschriften, Meldung bei Arbeitsunfähigkeit oder Homeoffice neu zu regeln?
Der Abschluss einer Betriebsvereinbarung ist immer mit einem gewissen Aufwand verbunden. Man denke nur an die Präambel und die richtig formulierte salvatorische Klausel. Auch kann es streitige Rechtsfragen geben, die einen Verhandlungsprozess sehr in die Länge ziehen. Deshalb wäre ich für das Mittel der Betriebsabsprache: Man ist sich einig, wie man vorgeht, welche Maßnahmen jetzt getroffen werden. Das bringt man zu Papier und dann wird gehandelt. Für später kann man sich die Feinarbeit vornehmen, wenn ein Bedarf bestehen sollte: Zum Mitbestimmungsrecht gehört nach der Rechtsprechung auch die Befugnis, einen durch Betriebsabsprache geregelten Gegenstand in die Form einer Betriebsvereinbarung zu bringen, wobei natürlich auch inhaltliche Änderungen möglich sind.
- Welche Rolle hat die Interessenvertretung, wenn ein Mitarbeiter an Corona erkrankt ist? Muss er die Arbeitnehmer informieren? Was ist, wenn der Arbeitgeber nicht aktiv wird?
Tritt ein Erkrankungsfall auf, wird der Arbeitgeber in der Regel die Belegschaft informieren und über die Konsequenzen mit dem Betriebsrat/Personalrat verhandeln. Unternimmt er nichts (weil Chef und Stellvertreter im Urlaub sind und sich niemand traut, eine Entscheidung zu treffen), so kann und muss der Betriebsrat die Initiative ergreifen und alle über den Erkrankungsfall informieren. Nur der Name des Betroffenen darf nicht genannt werden und auch nicht seine Arbeitsgruppe, weil dies Rückschlüsse zulassen würde. Wer mit dem Erkrankten in Kontakt war, sollte zwei Wochen zu Hause bleiben, um so die »Ansteckungskette« zu unterbrechen.
Der Betriebsrat kann auch das Gesundheitsamt anrufen und um Rat bitten, wie sich die Beteiligten verhalten sollen. Dies kann dann zur formalen Anordnung einer Quarantäne gegenüber bestimmten Personen führen. Kamen praktisch alle mit der erkrankten Person in Berührung, wird der Betrieb vorübergehend geschlossen. Handelt es sich um einen Filialbetrieb z. B. einer Bank, so müssen die Räumlichkeiten gründlich desinfiziert werden; einige Tage später kann dann der Betrieb mit Hilfe einer aus anderen Filialen kommenden »Notmannschaft« fortgesetzt werden, wenn sich dies als zwingend notwendig erweisen sollte.
- Der Arbeitgeber ist hinsichtlich der Betriebsratsarbeit/Personalratsarbeit nicht weisungsbefugt. Darf der Arbeitgeber im Corona-Fall ausnahmsweise anordnen, dass die Betriebsratsarbeit/Personalratsarbeit im Homeoffice erledigt wird? Darf er den Besuch von Betriebsratsschulungen/Personalratsschulungen außerhalb des Betriebs verbieten?
Wo und wann der Betriebsrat bzw. der Personalrat arbeitet, entscheidet er selbst. Das ist seine eigene Geschäftsführungsbefugnis, an Weisungen des Arbeitgebers ist er insoweit nicht gebunden. Untersagt der Arbeitgeber beispielsweise Meetings aller Art, so kann der Betriebsrat trotzdem zu einer Sitzung zusammen kommen; dasselbe gilt für den Gesamt- und den Konzernbetriebsrat.
Der Besuch von Schulungen nach § 37 Abs. 6 BetrVG ist auch dann zulässig, wenn der Arbeitgeber im Übrigen alle Dienstreisen verboten hat. Eine andere Frage ist, ob der Betriebsrat nicht aus denselben Gründen wie der Arbeitgeber auf Sitzungen und Schulungsteilnahmen verzichtet; die Wahrnehmung von Gefahren kann durchaus dieselbe sein. Nur: Der Betriebsrat ist selbständig und trifft seine eigenen Entscheidungen.
Autor:
Dr. Wolfgang Däubler
Professor für Deutsches und Europäisches Arbeitsrecht, Bürgerliches und Wirtschaftsrecht an der Universität Bremen. Er ist einer der bekanntesten Arbeitsrechtler.
Coronavirus: Arbeitsrechtliche Auswirkungen
Fragen und Antworten:
Habe ich einen Anspruch darauf, von zu Hause aus (im Home Office) zu arbeiten?
Ein gesetzlicher Anspruch, von zu Hause aus zu arbeiten, besteht nicht. Arbeitnehmer können dies jedoch mit ihrem Arbeitgeber vereinbaren. Die Option kann sich zudem aus einer Betriebsvereinbarung oder einem Tarifvertrag ergeben.
Muss ich ins Büro, wenn die Kollegen husten?
Ein allgemeines Recht des Arbeitnehmers, bei Ausbruch einer Erkrankungswelle wie COVID-19 der Arbeit fernzubleiben, gibt es nicht. Für das Eingreifen eines Leistungsverweigerungsrechts wäre es erforderlich, dass ihm die Erbringung seiner Arbeitsleistung unzumutbar ist (§ 275 Abs. 3 BGB). Eine Unzumutbarkeit ist z.B. dann gegeben, wenn die Arbeit für den Betroffenen eine erhebliche objektive Gefahr oder zumindest einen ernsthaften objektiv begründeten Verdacht der Gefährdung für Leib oder Gesundheit darstellt. Das bloße Husten von Kollegen ohne weiteren objektiv begründeten Verdacht oder Anhaltspunkte für eine Gefahr wird dafür wohl nicht ausreichen.
Darf der Arbeitgeber Überstunden anordnen, wenn viele Kolleginnen und Kollegen krankheitsbedingt ausfallen?
Von Überstunden spricht man, wenn die vereinbarte regelmäßige Arbeitszeit überschritten wird.
Arbeitnehmer sind grundsätzlich nur dann zur Leistung von Überstunden verpflichtet, wenn sich dies aus einem Tarifvertrag, einer Betriebsvereinbarung oder einem Arbeitsvertrag ergibt. Es kann jedoch auch eine Nebenpflicht zur Leistung von Überstunden bestehen, wenn durch die geforderten Überstunden ein sonst dem Arbeitgeber drohender Schaden, der auf andere Weise nicht abgewendet werden kann, vermieden wird. Dies könnte auch dann der Fall sein, wenn es beispielsweise aufgrund von COVID-19-Erkrankungen zu erheblichen Personalausfällen kommt.
Besteht keine arbeits- oder kollektivvertragliche Bestimmung über die Bezahlung der Überstunden, kann der Arbeitnehmer grundsätzlich gem. § 612 BGB die Grundvergütung für die Überstunden verlangen. Der Anspruch auf Überstundenvergütung setzt voraus, dass die Überstunden vom Arbeitgeber angeordnet, gebilligt oder geduldet wurden und jedenfalls zur Erledigung der geschuldeten Arbeit notwendig waren.
Habe ich im Fall einer vorübergehenden Betriebsstörung oder -schließung Anspruch auf Entgeltfortzahlung?
Im Hinblick auf die Entgeltfortzahlung gilt, dass der Arbeitgeber grundsätzlich weiter zur Entgeltzahlung verpflichtet bleibt, wenn die Arbeitnehmer arbeitsfähig und arbeitsbereit sind, aber er sie aus Gründen nicht beschäftigen kann, die in seiner betrieblichen Sphäre liegen (sog. Betriebsrisikolehre, § 615 Satz 3 BGB). Dazu würden etwa Fälle zählen, in denen es aufgrund von COVID-19-Erkrankungen zu erheblichen Personalausfällen oder Versorgungsengpässen käme, in deren Folge der Arbeitgeber die Betriebstätigkeit vorübergehend einstellen würde. Die Arbeitnehmer behalten also in diesen Fällen ihren Entgeltanspruch, auch wenn sie nicht arbeiten können.
Hinweis: Für diese Konstellationen, in denen weder Arbeitgeber noch Arbeitnehmer den Arbeitsausfall zu vertreten haben, können einzel- oder kollektivvertragliche Vereinbarungen Abweichendes regeln.
Kann ein Unternehmen bei Arbeitsausfällen wegen des Coronavirus Kurzarbeitergeld bekommen?
Lieferengpässe, die im Zusammenhang mit dem Corona-Virus entstehen, oder behördliche Betriebsschließungen mit der Folge, dass die Betriebe ihre Produktion einschränken oder einstellen müssen, können zu einem Anspruch auf Kurzarbeitergeld für die vom Arbeitsausfall betroffenen Beschäftigten führen.
Betriebe, die Kurzarbeitergeld beantragen möchten, müssen die Kurzarbeit zuvor bei der zuständigen Agentur für Arbeit anzeigen.
Ob die Voraussetzungen für die Gewährung des Kurzarbeitergelds vorliegen, prüft die zuständige Agentur für Arbeit im Einzelfall.
Kurzarbeitergeld kann für eine Dauer von bis zu zwölf Monaten bewilligt werden. Kurzarbeitergeld wird in derselben Höhe wie Arbeitslosengeld bezahlt und beträgt 67 bzw. 60 Prozent der Differenz zwischen dem pauschalierten Nettoentgelt, das ohne Arbeitsausfall gezahlt worden wäre, und dem pauschaliertem Nettoentgelt aus dem tatsächlich erhaltenen Arbeitsentgelt.
Nähere Informationen zur Beantragung des Kurzarbeitergeldes sind auf der Homepage der Bundesagentur für Arbeit unter folgendem Link zu finden:
www.arbeitsagentur.de/news/kurzarbeit-wegen-corona-virus
Was passiert, wenn der Arbeitgeber Kurzarbeit angeordnet hat?
Etwas anderes als bei Frage 4 gilt etwa dann, wenn der Arbeitgeber berechtigt Kurzarbeit angeordnet hat. Kommt es so zu einem Arbeitsausfall mit Entgeltausfall, etwa weil Lieferengpässe infolge des Coronavirus auftreten und der Betrieb in der Folge nur eingeschränkt oder gar nicht arbeitsfähig ist oder weil ein Betrieb auf behördliche Anordnung schließen muss, so kommt ein Anspruch der betroffenen Arbeitnehmer auf Kurzarbeitergeld in Betracht. Kurzarbeitergeld kann für eine Dauer von bis zu zwölf Monaten bewilligt werden. Kurzarbeitergeld wird in derselben Höhe wie Arbeitslosengeld bezahlt und beträgt 67 bzw. 60 Prozent der Differenz zwischen dem pauschalierten Nettoentgelt, das ohne Arbeitsausfall gezahlt worden wäre, und dem pauschaliertem Nettoentgelt aus dem tatsächlich erhaltenen Arbeitsentgelt. Ob die Voraussetzungen für die Gewährung von Kurzarbeitergeld vorliegen, prüft die zuständige Agentur für Arbeit im Einzelfall.
Was passiert, wenn mein Kind nicht krank ist, aber die Kita/Schule meines Kindes (länger) geschlossen wird und ich keine andere Betreuung für das Kind habe? Muss ich Urlaub nehmen?
Ist bei der Schließung der Kita/Schule unter Berücksichtigung des Alters der Kinder eine Betreuung erforderlich, so müssen die Eltern zunächst alle zumutbaren Anstrengungen zu unternehmen, die Kinderbetreuung anderweitig sicherzustellen (z. B. Betreuung durch anderen Elternteil). Kann die erforderliche Kinderbetreuung auch dann nicht sichergestellt werden, dürfte in der Regel ein Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitnehmers bestehen, da die Leistungserfüllung unzumutbar sein dürfte (§ 275 Abs. 3 BGB). D. h. in diesen Fällen wird der Arbeitnehmer von der Pflicht der Leistungserbringung frei; es ist nicht zwingend erforderlich, Urlaub zu nehmen.
Zu beachten ist jedoch, dass bei einem Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitnehmers aus persönlichen Verhinderungsgründen nur unter engen Voraussetzungen ein Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts bestehen kann. Ein solcher Entgeltanspruch kann sich aus § 616 BGB für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit ergeben. Zudem kann der Anspruch aus § 616 BGB durch arbeits- oder tarifvertragliche Vereinbarungen eingeschränkt oder sogar vollständig ausgeschlossen sein.
Nimmt der Arbeitnehmer Urlaub, erhält er Urlaubsentgelt.
In dieser Situation dürfte es hilfreich sein, zunächst das Gespräch mit dem Arbeitgeber zu suchen. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales appelliert an alle Arbeitgeber, zusammen mit den betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern pragmatische Lösungen (z. B. Homeoffice, kreative Arbeitszeitmodelle, Nutzung von Urlaub und Arbeitszeitkonten, etc.) zu vereinbaren , welche den Belangen der Familien und der Arbeitsfähigkeit der Betriebe und Einrichtungen Rechnung tragen.
Was passiert, wenn ich meinen Arbeitsplatz nicht erreichen kann, etwa weil die S- oder U-Bahn nicht fährt?
Kann der Beschäftigte aufgrund von allgemein angeordneten Maßnahmen seinen (unbelasteten) Arbeitsplatz nicht erreichen und somit seine Arbeitsleistung nicht erbringen, hat er grundsätzlich keinen gesetzlichen Anspruch auf Zahlung der vereinbarten Vergütung. Denn der Arbeitnehmer trägt das Risiko, dass er zum Betrieb als seinem Arbeitsort gelangt (sog. Wegerisiko).
Was passiert, wenn ich an COVID-19 erkrankt bin?
Ist der Beschäftigte infolge einer Infektion mit dem Coronavirus arbeitsunfähig erkrankt und somit an seiner Arbeitsleistung verhindert, besteht ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für den Zeitraum von sechs Wochen (§ 3 EFZG). Nach diesem Zeitraum haben gesetzlich Krankenversicherte grundsätzlich Anspruch auf Krankengeld.
Habe ich einen Anspruch auf mein Entgelt, wenn sich die behördliche Infektionsschutzmaßnahme gegen mich wendet?
Ist der Arbeitnehmer selbst als Betroffener Adressat einer behördlichen Maßnahme, wie z.B. Tätigkeitsverbot oder Quarantäne, kann er zum einen einen Entgeltanspruch gegen seinen Arbeitgeber haben. Aus Sicht des BGH kann in einem solchen Fall ein vorübergehender, in der Person des Arbeitnehmers liegender Verhinderungsgrund bestehen, der den Arbeitgeber trotz Wegfalls der Pflicht zur Arbeitsleistung zur Entgeltfortzahlung verpflichtet (§ 616 BGB). Die Dauer der Entgeltfortzahlung hängt von den Umständen des Einzelfalles ab (vgl. BGH, Urteil vom 30. November 1978, III ZR 43/77 – nach dieser Entscheidung für höchstens 6 Wochen).
In Fällen, in denen § 616 BGB durch Einzel- oder Tarifvertrag eingeschränkt oder ausgeschlossen ist oder aus anderen Gründen nicht greift, besteht in vielen Konstellationen ein öffentlich-rechtlicher Entschädigungsanspruch. Personen, die als Ansteckungsverdächtige auf Anordnung des zuständigen Gesundheitsamts isoliert werden und deshalb einen Verdienstausfall erleiden, erhalten eine Entschädigung nach § 56 des Infektionsschutzgesetzes. Die Entschädigung bemisst sich nach dem Verdienstausfall. Für die ersten sechs Wochen wird sie in Höhe des Verdienstausfalls gewährt. Vom Beginn der siebten Woche an wird sie in Höhe des Krankengeldes gewährt. Arbeitnehmer erhalten von ihrem Arbeitgeber für die Dauer der Isolierung, längstens für sechs Wochen, eine Entschädigung in Höhe des Nettolohns. Die ausgezahlten Beträge werden dem Arbeitgeber auf Antrag erstattet. Nach sechs Wochen zahlt der Staat in Höhe des Krankengeldes weiter. Erkrankte fallen nicht unter diese Entschädigungsregelung, weil diese bereits Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und Krankengeld erhalten.
Welche Verpflichtungen haben Arbeitgeber zum Schutz der Arbeitnehmer? Fällt unter die Gefährdungsbeurteilung für seine Mitarbeiter*innen auch der Schutz vor ansteckenden Krankheiten?
Der Arbeitgeber hat nach Arbeitsschutzgesetz grundsätzlich die Verpflichtung die Gefahren für die Sicherheit und Gesundheit für seine Beschäftigten am Arbeitsplatz zu beurteilen (sog. Gefährdungsbeurteilung) und Maßnahmen hieraus abzuleiten. Im Rahmen der Pandemieplanung (Bevölkerungsschutz) hat der Arbeitgeber ggf. weitere Maßnahmen zu ermitteln und durchzuführen. Konkrete Hinweise hierzu finden sich zum Beispiel im Nationalen Pandemieplan auf der Homepage des RKI.
Für den Arbeitsschutz gilt, wenn eine beschäftigte Person aufgrund ihrer Arbeit mit biologischen Arbeitsstoffen umgeht, ist die Biostoffverordnung anzuwenden (§ 4 BioStoffV). Biostoffe wie Viren, Bakterien etc. müssen in der Gefährdungsbeurteilung berücksichtigt werden. Aus den Gefährdungen muss der Arbeitgeber Schutzmaßnahmen für seine Beschäftigten ableiten und umsetzen. Die Maßnahmen können technisch und organisatorisch sein, wie etwa die Abtrennung der Arbeitsbereiche oder die Beschränkung der Mitarbeiterzahl. Bei entsprechender Gefährdung hat der Arbeitgeber außerdem persönliche Schutzausrüstung wie beispielsweise Schutzhandschuhe oder Atemschutz zur Verfügung zu stellen. Zu den Gefährdungen sind die Beschäftigten über eine Unterweisung allgemein sowie über eine arbeitsmedizinische Vorsorge individuell zu beraten. Konkretisierungen enthalten beispielsweise die Technische Regel „Biologische Arbeitsstoffe im Gesundheitswesen und in der Wohlfahrtspflege“ (TRBA 250) oder der Beschluss 609 „Arbeitsschutz beim Auftreten einer nicht ausreichend impfpräventablen humanen Influenza“, welcher derzeit in der Prävention von COVID-19 analog Anwendung findet.
Welche Informationen muss ich dem Arbeitgeber meine Gesundheit betreffend (ggf. auf dessen Nachfrage) geben?
Fragen des Arbeitsgebers nach dem Gesundheitszustand eines Arbeitnehmers bedürfen grundsätzlich einer besonderen Rechtfertigung, da sie nicht unerheblich in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers und dessen Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingreifen. Aus diesem Grund enthalten z. B. ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, die den Arbeitgebern vorgelegt werden, auch keine Diagnosen.
Wurde bei einem Arbeitnehmer jedoch eine Erkrankung an Corona festgestellt, kann der Arbeitgeber aber Auskunft hierüber verlangen, damit er seiner Fürsorge- und Schutzpflichten nachkommen und die gesundheitlichen Belange anderer Arbeitnehmer schützen kann.
Bin ich verpflichtet, Dienstreisen anzutreten und an dienstlichen Veranstaltungen teilnehmen?
Grundsätzlich sind Arbeitnehmer verpflichtet, die arbeitsvertraglich geschuldeten Arbeitsleistungen, wozu auch Dienstreisen und dienstliche Veranstaltungen zählen, zu erbringen. Allerdings kann ein Leistungsverweigerungsrecht bestehen, wenn dem Arbeitnehmer die Erbringung seiner Arbeitsleistung unzumutbar ist (§ 275 Abs. 3 BGB). Eine Unzumutbarkeit ist z. B. dann gegeben, wenn die Arbeit für den Betroffenen eine erhebliche objektive Gefahr oder zumindest einen ernsthaften objektiv begründeten Verdacht der Gefährdung für Leib oder Gesundheit darstellt. Dies ist im Einzelfall zu entscheiden. Die bloße Befürchtung, man könne sich mit dem Coronavirus infizieren, dürfte ohne weitere objektiv begründete Anhaltspunkte nicht ausreichen, um die Teilnahme an einer Dienstreise oder sonstigen dienstlichen Veranstaltungen zu verweigern.
Was passiert, wenn der Arbeitgeber Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach Hause schickt, z. B. weil sie Husten haben?
Der Arbeitgeber ist aus seiner Fürsorgepflicht heraus verpflichtet, einen objektiv arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmer von der Arbeit fernzuhalten. Wird ein solcher Arbeitnehmer von dem Arbeitgeber nach Hause geschickt, hat der Arbeitnehmer Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Es gelten die Regelungen des Entgeltfortzahlungsgesetzes (EFZG).
Ein Arbeitgeber, der Arbeitnehmer, die arbeitsfähig und auch arbeitsbereit sind, rein vorsorglich nach Hause schickt, bleibt aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs zur Zahlung der Vergütung verpflichtet (§ 615 S. 1 BGB). In diesen Fällen muss der Arbeitnehmer die ausgefallene Arbeitszeit auch nicht nachholen.
Wann muss ich die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegen?
Jeder Arbeitnehmer hat seinem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich, d. h. ohne schuldhaftes Zögern anzuzeigen (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Entgeltfortzahlungsgesetz – EFZG). Dies kann z. B. telefonisch geschehen. Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als 3 Kalendertage ist der Arbeitnehmer verpflichtet, dem Arbeitgeber spätestens am darauffolgenden Arbeitstag eine ärztliche Bescheinigung über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer vorzulegen (§ 5 Abs. 1 S. 2 EFZG). Der Arbeitgeber ist berechtigt, die Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung früher zu verlangen. Allerdings kann der Arbeitgeber die Vorlage auch zu einem späteren Zeitpunkt verlangen oder vorübergehend darauf verzichten. In der aktuellen Situation wird empfohlen, Rücksprache zum konkreten Vorgehen mit dem Arbeitgeber zu halten.
Soweit Erkrankte zunächst die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht an ihren Arbeitgeber übermitteln können (z. B. wegen überlasteter Arztpraxen), kann dem Arbeitgeber die Bescheinigung auch später vorgelegt werden. Gegebenenfalls zunächst nicht fortgezahltes Arbeitsentgelt ist dann vom Arbeitgeber nachzuzahlen.
Gibt es Informationen für niedergelassene Ärzte sowie Krankenhäuser und Kliniken für den ressourcenschonenden Einsatz von Schutzausrüstung?
Der ad hoc Arbeitskreis „COVID-19“ des Ausschusses für Biologische Arbeitsstoffe (ABAS) hat zu dieser Frage im Auftrag des BMAS ein Informationspapier erarbeitet. Dieses ist unter folgendem Link abrufbar:
https://www.baua.de/DE/Themen/Arbeitsgestaltung-im-Betrieb/Biostoffe/FAQ/pdf/Empfehlungen-organisatorische-Massnahmen.pdf
Weiterhin wird empfohlen, sich bei konkreten Fragen und Problemen an die bei Ihnen zuständige Arbeitsschutzbehörde oder sich an Ihren Unfallversicherungsträger zu wenden.
Eine Liste mit Kontaktdaten der Arbeitsschutzbehörden finden Sie unter folgendem Link: https://www.baua.de/DE/Themen/Arbeitsgestaltung-im-Betrieb/Branchen/Bauwirtschaft/Baustellenverordnung/pdf/Arbeitsschutzbehoerden.pdf
Die Kontaktdaten der Berufsgenossenschaften und Unfallkassen sind unter folgender Adresse abrufbar: https://www.dguv.de/de/bg-uk-lv/index.jsp
Quelle: BMAS
Stechuhr für alle?
Nach dem „Stechuhr-Urteil“ des EuGH wird kontrovers diskutiert, welche Folgen sich für das Arbeitsleben ergeben. Verbände warnen vor einer „Zeitreise in die Vergangenheit“.
Mit seinem Urteil über die Pflicht zur systematischen Arbeitszeiterfassung vom 14. Mai 2019 (Az. C-55/18) hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) für mediale Aufmerksamkeit gesorgt. Hiernach sind Arbeitgeber verpflichtet, in Befolgung der europäischen Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG verlässliche Systeme zu schaffen, mit denen die tägliche Arbeitszeit eines jeden Arbeitnehmers gemessen werden kann.
Ohne solche Vorkehrungen könne weder die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden und ihre zeitliche Verteilung, noch die Zahl der Überstunden objektiv und verlässlich ermittelt werden. Da der Arbeitnehmer aber der strukturell unterlegene Part im Arbeitsverhältnis sei, müsse dies zu dessen Schutz aber gewährleistet sein, so die Luxemburger Richter.
Diesem Urteil wurde nicht nur von Arbeitsrechtlern Aufmerksamkeit geschenkt, vielmehr wurden auch Berufsverbände, Gewerkschaften und die Politik auf den Plan gerufen. Von einer „Zeitreise in die Vergangenheit“ bis hin zu keinem wirklichen Handlungsbedarf für die Situation deutscher Arbeitgeber reichten die Äußerungen.
Umsetzung des EuGH Urteils ist alternativlos
Zunächst gilt: Das Urteil des EuGH ist in der Welt. Der EuGH ist dazu berufen, unbestimmte Rechtsbegriffe und Auslegungsspielräume der Arbeitszeitrichtlinie auszufüllen. Seine Interpretation bindet die jeweiligen nationalen Gesetzgeber. Zudem stützt der EuGH seine Argumentation nicht nur auf die Arbeitszeitrichtlinie, sondern beruft sich überdies auch auf die Grundrechtecharta (GRCh).
Deren Artikel 31 Abs. 1 garantiert den Arbeitnehmern „gesunde, sichere und würdige Arbeitsbedingungen“, wobei Art. 31 Abs. 2 GRCh sodann noch genauer wird und den Arbeitnehmern ein „Recht auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit, auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten“ zuspricht. Insoweit besteht kein Spielraum für den deutschen Gesetzgeber, eine klare Vorgabe des EuGH umzusetzen oder aber – wenn sie womöglich als unpassend angesehen wird – dies nicht zu tun. Die Umsetzung der Vorgaben des EuGH ist damit – um einen Begriff der Politik zu bemühen – alternativlos.
Spielräume und gestalterische Stellschrauben
Richtigerweise ist der Ansatzpunkt daher nicht, ob das Urteil umgesetzt werden sollte, sondern vielmehr welche Spielräume dem nationalen Gesetzgeber bleiben. Hier ergeben sich aus dem Urteil bereits verschiedene Möglichkeiten:
So trifft das Urteil keine Aussage dazu, wer die Arbeitszeit erfassen muss. Vielmehr führt der EuGH explizit aus, dass den Mitgliedsstaaten bei den Modalitäten, insbesondere der Form des Systems zur Arbeitszeiterfassung, ein Spielraum eröffnet sei. Es findet sich auch keine entgegenstehende Formulierung dazu, dass die Dokumentation nicht durch den Arbeitnehmer selbst erfolgen kann. Sie muss nur systematisch erfolgen, so dass die Zeiten wohl in ein Erfassungssystem einzupflegen sind, in das der Arbeitnehmer Einsicht nehmen kann.
Die zugrunde liegende Arbeitszeit-Richtlinie 2003/88/EG sieht in Art. 17 Abs. 1 bereits selbst für bestimmte Personen- bzw. Tätigkeitsgruppen vor, dass von den Richtlinienvorgaben abgewichen werden kann. Für leitende Angestellte ist dies z.B. bereits derzeit der Fall, für diese gilt das deutsche Arbeitszeitrecht ohnehin nicht, § 18 Arbeitszeitgesetz (ArbZG). Auch hieran wird sich nichts ändern. Der EuGH stellt in seinem Urteil überdies ausdrücklich fest, dass Ausnahmen von der allgemeinen Pflicht zur Arbeitszeiterfassung unter bestimmten Voraussetzungen denkbar sind. Hierzu nennt er als zu berücksichtigende Besonderheiten z.B. die jeweiligen Tätigkeitsbereiche der Unternehmen oder die Eigenheiten bestimmter Unternehmen, wie z. B. deren Größe.
Der deutsche Gesetzgeber hat daher bei einer Anpassung des Arbeitszeitgesetzes die Möglichkeit, insbesondere mittelständische Unternehmen, für die eine weitere Dokumentation der Arbeitszeit eine besondere Belastung darstellt, von der entsprechenden Pflicht auszunehmen. Welche Größenordnung man hier als sinnvoll ansieht, ist der Politik überlassen. Folgt man der Argumentation des EuGH, wonach ein Schutz kleinerer Unternehmen vor nicht leistbarem administrativen Aufwand intendiert ist, bieten sich entsprechende „Überforderungsgrenzen“ an, die der Gesetzgeber im Arbeitsrecht auch an anderer Stelle vorsieht.
So kann die seit 1. Januar 2019 eingeführte Brückenteilzeit erst dann beansprucht werden, wenn mehr als 45 Arbeitnehmer beschäftigt werden. Eine solche Grenze könnte sich daher als Diskussionsgrundlage eignen. Ausnahmen von der Arbeitszeiterfassung im Sinne einer vollständigen Herausnahme von der Verpflichtung könnten auch für bestimmte Brachen gelten, bei denen z.B. aufgrund mobiler Arbeitsorte eine derartige Arbeitszeiterfassung schlicht nicht bzw. nur unter erheblichem Aufwand leistbar ist.
Modifikationen ja, aber kein Umbruch im Arbeitszeitrecht
Was folgt damit insgesamt aus dem „Stechuhr-Urteil“: Eine moderate Anpassung des deutschen Arbeitszeitrechts wird wohl notwendig, aber auch ausreichend sein. Vertrauensarbeitszeit, wonach Arbeitnehmer selbstbestimmt ihre eigene Arbeitszeit selbst erfassen, wird weiterhin möglich sein. Versteht man unter Vertrauensarbeitszeit hingegen Systeme, bei denen Arbeitnehmer täglich 12 Stunden oder mehr arbeiten und diese Zeiten aber mangels Erfassung nicht auffallen, so wird diese Handhabe nicht mehr möglich sein. Sie war aber auch bereits nach bisherigem Arbeitszeitrecht unzulässig. Es fiel bloß niemandem auf.
Die Gesetzeslage ändert sich durch das Urteil nicht. Insoweit ist der Kern der Kritik am Urteil eine Kritik am zugegebenermaßen restriktiven Arbeitszeitrecht. Dies kann und sollte man zurecht in Zeiten der Arbeitswelt 4.0 und sowohl arbeitgeber-, als auch arbeitnehmerseitig geäußerten Wünschen nach Arbeitszeitflexibilität kontrovers diskutieren.
(Mit Material von dpa)
Prof. Dr. Michael Fuhlrott (Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei FHM – Fuhlrott Hiéramente & von der Meden Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB – sowie Professor für Arbeitsrecht an der Hochschule Fresenius in Hamburg).
https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/eugh-c55-18-stechuhr-vertrauens-arbeitszeit-erfassung-arbeitnehmer/
Mehrarbeitszuschläge bei Teilzeitarbeit
Eine Regelung in einem Tarifvertrag kann im Einklang mit § 4 Abs. 1 TzBfG* dahin auszulegen sein, dass Mehrarbeitszuschläge bei Teilzeitbeschäftigten für die Arbeitszeit geschuldet sind, die über die Teilzeitquote hinausgeht, die Arbeitszeit einer Vollzeittätigkeit jedoch nicht überschreitet.
Die Klägerin ist bei der Beklagten als stellvertretende Filialleiterin in Teilzeit tätig. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Manteltarifvertrag für die Systemgastronomie Anwendung. Er regelt ua. Mehrarbeitszuschläge und erlaubt es, wie im Fall der Klägerin eine Jahresarbeitszeit festzulegen. Für den nach Ablauf des Zwölfmonatszeitraums bestehenden Zeitsaldo hat die Beklagte die Grundvergütung geleistet. Sie hat dagegen keine Mehrarbeitszuschläge gewährt, weil die Arbeitszeit der Klägerin nicht die einer Vollzeittätigkeit überschritt. Die Klägerin verlangt Mehrarbeitszuschläge für die Arbeitszeit, die über die vereinbarte Arbeitszeit hinausging.
Die Vorinstanzen haben der Klage überwiegend stattgegeben. Die Revision der Beklagten hatte vor dem Zehnten Senat mit Blick auf die Mehrarbeitszuschläge keinen Erfolg. Die Auslegung des Tarifvertrags ergibt, dass Teilzeitbeschäftigte mit vereinbarter Jahresarbeitszeit einen Anspruch auf Mehrarbeitszuschläge für die Arbeitszeit haben, die über ihre individuell festgelegte Arbeitszeit hinausgeht. Diese Auslegung entspricht höherrangigem Recht. Sie ist mit § 4 Abs. 1 TzBfG vereinbar. Zu vergleichen sind die einzelnen Entgeltbestandteile, nicht die Gesamtvergütung. Teilzeitbeschäftigte würden benachteiligt, wenn die Zahl der Arbeitsstunden, von der an ein Anspruch auf Mehrarbeitsvergütung entsteht, nicht proportional zu ihrer vereinbarten Arbeitszeit vermindert würde. Der Zehnte Senat gibt seine gegenläufige Ansicht auf (BAG 26. April 2017 – 10 AZR 589/15 -). Er schließt sich der Auffassung des Sechsten Senats an (BAG 23. März 2017 – 6 AZR 161/16 – BAGE 158, 360).
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19. Dezember 2018 – 10 AZR 231/18 –
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26. Januar 2018 – 2 Sa 1365/17 –
*§ 4 Abs. 1 TzBfG lautet:
1Ein teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer darf wegen der Teilzeitarbeit nicht schlechter behandelt werden als ein vergleichbarer vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer, es sei denn, dass sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. 2Einem teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer ist Arbeitsentgelt oder eine andere teilbare geldwerte Leistung mindestens in dem Umfang zu gewähren, der dem Anteil seiner Arbeitszeit an der Arbeitszeit eines vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers entspricht.
Hinweis: Der Senat hat am 19. Dezember 2018 über vier weitere parallel gelagerte Sachverhalte entschieden (- 10 AZR 617/17, 10 AZR 618/17, 10 AZR 140/18 und 10 AZR 232/18 -). Die auf Mehrarbeitszuschläge gerichteten Klagen hatten Erfolg.
Pressemitteilung des BAG (70/18)
Vergütung von Resturlaub geht auch ohne Urlaubsantrag
Urlaub kann in Geld abgegolten werden, selbst wenn der Arbeitnehmer keinen Urlaub beantragt hatte. Ausnahme: Der Arbeitgeber hat über mögliche Anspruchsverluste genau informiert. Geklagt hatte ein Rechtsreferendar.
Auch wer keinen Urlausantrag gestellt hatte, verliert nicht zwangsläufig den Anspruch auf Vergütung der Resturlaubstage. Der Geldanspruch geht aber unter, wenn der Arbeitgeber den Mitarbeiter umfassend über die Sachlage informiert hat. Die Beweislast für die Aufklärung trägt der Arbeitgeber. Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) auf zwei Vorabscheidungsersuchen des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Berlin-Brandenburg und des Bundesarbeitsgerichts (BAG) entschieden (Urt. v. 06.11.2018, Az. C-619/16 und C-684/16). Keine Rolle spielt, ob es sich um öffentlich-rechtliche oder private Arbeitsverhältnisse handelt.
Einer der Fälle ist der eines ehemaligen Rechtsreferendars aus Berlin, der andere der eines Wissenschaftlers an der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften, den das BAG vorgelegt hatte. Gemeinsam haben die Fälle, dass beide Beschäftigungsverhältnisse zu einem festgelegten Termin endeten, beide Männer ihren Urlaub nicht vollständig genommen hatten und schließlich Entschädigung in Geld beanspruchten.
Im Fall des Referendars hatte das Land Berlin eine solche Zahlung abgelehnt. Er sei ja nicht daran gehindert worden, seinen Urlaub zu nehmen, sondern habe nie einen Urlaubsantrag gestellt. Eine Entschädigung in Geld käme selbst nach der Richtlinie 2003/88 (Arbeitszeitrichtlinie) nur in Betracht, wenn der Referendar den Urlaub aus von seinem Willen unabhängigen Gründen nicht hätte nehmen können, wie etwa Krankheit.
Recht auf Urlaub ist für alle da
Der EuGH stellte klar, dass das Recht auf Jahresurlaub für alle Beschäftigten in der Charta der Grundrechte der EU verankert ist. Dieses Recht gehe zwangsläufig mit der Pflicht des Arbeitgebers einher, diesen Urlaub auch zu gewähren – oder eben eine Vergütung zu zahlen, wenn das Beschäftigungsverhältnis endet. Dabei sei unerheblich, ob es sich um ein privates oder ein öffentliches Beschäftigungsverhältnis handelt.
Damit knüpft der EuGH an seine Entscheidung an (EuGH Urt. v. 12. Juni 2014, Az. C 118/13), dass Art. 7 Abs. 2 der Arbeitszeitrichtlinie für einen Geldanspruch nur erfordert, dass das Arbeitsverhältnis beendet ist und der Arbeitnehmer Resturlaubstage hat. Dass ein Urlaubsantrag gestellt wurde, fordert die Richtlinie nicht.
Verlust nicht so einfach
Den Anspruch auf Urlaub oder finanzielle Vergütung können die Beschäftigten auch nicht so einfach verlieren – er fällt im Todesfall sogar in die Erbmasse. Allein, dass kein Urlaubsantrag gestellt wurde, sei jedenfalls nicht entscheidend, urteilte der EuGH. Nur wenn die Menschen tatsächlich in die Lage versetzt wurden, ihre Urlaubstage rechtzeitig zu nehmen, könne ein Anspruch auf Geldentschädigung ausgeschlossen sein. Darüber muss der Arbeitgeber allerdings aufklären – und dass er das getan hat, muss dieser beweisen.
Der EuGH begründet dies mit der schwächeren Position des Beschäftigten: Der könne abgeschreckt sein, seine Rechte gegenüber seinem Arbeitgeber ausdrücklich geltend zu machen. Rechte einzufordern, könne negative Folgen für ihn haben. Für den Arbeitgeber hingegen sei der Nachweis, dass der Arbeitnehmer freiwillig und in voller Kenntnis der Sachlage auf den Urlaub verzichtet hat, kein Problem.
Kann der Arbeitgeber diesen Nachweis erbringen und hatte der Mitarbeiter auch faktisch die Möglichkeit, Urlaub zu nehmen, sieht die Sache anders aus. Denn dann steht, so die Richter in Luxemburg, das Unionsrecht einer Regelung nicht entgegen, nach der ein Anspruch auf finanzielle Vergütung auch bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausgeschlossen ist.
EuGH will keine Bereicherung durch Urlaubsanspruch
Der EuGH erkennt die Gefahr dieser Rechtsprechung natürlich selbst und argumentiert: Urlaub soll der Erholung dienen. Und keine Regelung sollte dazu führen, dass Arbeitnehmer ihren Urlaub nicht nehmen, um nach dem Ende ihres Beschäftigtenverhältnisses mehr Geld zu haben.
Nun müssen das OVG und das BAG wieder ran: Sie werden prüfen müssen, inwieweit der Rechtsreferendar und auch der Wissenschaftler die Möglichkeit hatten, tatsächlich Urlaub zu nehmen und ob sie von ihren Arbeitgebern bzw. Dienstherren hinreichend informiert wurden. Arbeitgeber müssen auch künftig nicht den Mitarbeitern den Urlaub nahezu aufzwängen, wie das BAG bei der Vorlage anfragte – aber informieren, das werden sie müssen.
von Tanja Podolski
Pressemitteilung von Legal Tribune Online: https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/eugh-c619-16-referendar-urlaub-geld-entschaedigung/
Erbschaft inklusive Urlaub
Hat der Erblasser im Todeszeitpunkt noch Urlaubsansprüche, so werden auch diese vererbt. Die Erben können dann deren Auszahlung verlangen. Das Urteil des EuGH widerspricht der bisherigen Rechtsprechung des BAG, analysiert Michael Fuhlrott.
Erneut hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) für Bewegung im deutschen Urlaubsrecht gesorgt und die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) für unionsrechtswidrig qualifiziert (Urt. v. 6.11.2018, Az. C-569/16 und C-570/16). Stirbt ein Arbeitnehmer im laufenden Arbeitsverhältnis und standen diesem noch unerfüllte Urlaubsansprüche zu, so wandeln sich diese in einen Urlaubsabgeltungsanspruch um. Die Erben können dann vom Arbeitgeber des Verstorbenen die Auszahlung des Urlaubs verlangen. Wenn das deutsche Recht dies nicht erlaube, könne sich der Erbe unmittelbar auf das Unionsrecht berufen.
Mit seiner Entscheidung bestätigt der EuGH die Sichtweise des Generalanwalts beim EuGH Bot, der bereits in seinen Schlussanträgen auf die besondere Bedeutung des Urlaubsanspruchs hinwies und sich auch nicht durch nationale Bedenken des diese Sachen vorlegenden BAG (Beschl. v. 18.10.2016, Az. 9 AZR 196/16 (A)) umstimmen ließ.
Ausgangspunkt für den Vorlagebeschluss des BAG waren die Klagen zweier Witwen, die Erbinnen ihrer jeweils verstorbenen Ehemänner waren. Deren Ableben erfolgte, während sie noch in einem bestehenden Arbeitsverhältnis standen. Einer der Erblasser war Beschäftigter der Stadt Wuppertal, einem öffentlichen Arbeitgeber, während der zweite Erblasser in den Diensten eines privatwirtschaftlichen Wartungsunternehmens stand. Beide Verstorbene einte, dass sie im Todeszeitpunkt noch im Besitz nicht erfüllter Urlaubsansprüche waren.
Die jeweiligen Witwen als Erblasserinnen machten nunmehr gegenüber den Arbeitgebern die Auszahlung der unerfüllten Urlaubsansprüche geltend. Diese hätten sich mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses in einen Abgeltungsanspruch gewandelt. Hierfür sei es unerheblich, ob die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Tod der Arbeitnehmer erfolgt sei oder der Arbeitnehmer sein Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis noch erlebt habe. Urlaub sei Urlaub, und wenn dieser nicht durch den Arbeitnehmer genommen werden konnte, sei er zu vererben.
von Prof. Dr. Michael Fuhlrott
Pressemitteilung Legal Tribune Online: https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/eugh-c569-16-urlaubsanspruch-abgeltung-vererbbarkeit-erben-bag/
Offene Videoüberwachung – Verwertungsverbot
Die Speicherung von Bildsequenzen aus einer rechtmäßigen offenen Videoüberwachung, die vorsätzliche Handlungen eines Arbeitnehmers zulasten des Eigentums des Arbeitgebers zeigen, wird nicht durch bloßen Zeitablauf unverhältnismäßig, solange die Ahndung der Pflichtverletzung durch den Arbeitgeber arbeitsrechtlich möglich ist.
Die Klägerin war in einem vormals von dem Beklagten betriebenen Tabak- und Zeitschriftenhandel mit angeschlossener Lottoannahmestelle tätig. Dort hatte der Beklagte eine offene Videoüberwachung installiert. Mit den Aufzeichnungen wollte er sein Eigentum vor Straftaten sowohl von Kunden als auch von eigenen Arbeitnehmern schützen. Nach dem Vortrag des Beklagten wurde im 3. Quartal 2016 ein Fehlbestand bei Tabakwaren festgestellt. Bei einer im August 2016 vorgenommenen Auswertung der Videoaufzeichnungen habe sich gezeigt, dass die Klägerin an zwei Tagen im Februar 2016 vereinnahmte Gelder nicht in die Registrierkasse gelegt habe. Der Beklagte kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich fristlos.
Die Vorinstanzen haben der dagegen gerichteten Kündigungsschutzklage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat gemeint, die Erkenntnisse aus den Videoaufzeichnungen unterlägen einem Verwertungsverbot. Der Beklagte hätte die Bildsequenzen unverzüglich, jedenfalls deutlich vor dem 1. August 2016 löschen müssen.
Auf die Revision des Beklagten hat der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts das Berufungsurteil hinsichtlich des Kündigungsschutzantrags aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Sollte es sich – was der Senat nach den bisherigen Feststellungen nicht beurteilen kann – um eine rechtmäßige offene Videoüberwachung gehandelt haben, wäre die Verarbeitung und Nutzung der einschlägigen Bildsequenzen nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG aF* zulässig gewesen und hätte dementsprechend nicht das durch Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin verletzt. Der Beklagte musste das Bildmaterial nicht sofort auswerten. Er durfte hiermit solange warten, bis er dafür einen berechtigten Anlass sah. Sollte die Videoüberwachung rechtmäßig erfolgt sein, stünden auch die Vorschriften der seit dem 25. Mai 2018 geltenden Datenschutz-Grundverordnung einer gerichtlichen Verwertung der erhobenen personenbezogenen Daten der Klägerin im weiteren Verfahren nicht entgegen.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23. August 2018 – 2 AZR 133/18 –
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 20. Dezember 2017 – 2 Sa 192/17 –
Anspruch des Arbeitnehmers auf Zahlung von Pauschalen nach § 288 Abs. 5 BGB* bei Verzug des Arbeitgebers mit der Entgeltzahlung?
Die Parteien streiten in der Revision noch über die Zahlung von Pauschalen nach § 288 Abs. 5 BGB.
Der Kläger ist langjährig bei der Beklagten beschäftigt. Er hat diese auf Zahlung rückständiger Besitzstandszulagen für die Monate Mai bis September 2016 in Anspruch genommen. Zudem hat er von der Beklagten wegen Verzugs mit der Zahlung der Besitzstandszulage für die Monate Juli bis September 2016 die Zahlung von drei Pauschalen à 40,00 Euro nach § 288 Abs. 5 BGB verlangt. Insoweit hat er die Ansicht vertreten, § 288 Abs. 5 BGB sei auch im Arbeitsrecht anwendbar. Die Beklagte hat demgegenüber im Wesentlichen eingewandt, § 288 Abs. 5 BGB sei im Arbeitsrecht gemäß § 12a ArbGG ausgeschlossen. Zudem lägen die Voraussetzungen des § 288 Abs. 5 BGB nicht vor, da sie sich nicht schuldhaft in Verzug befunden habe.
Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Die Revision der Beklagten, mit der diese sich gegen ihre Verurteilung zur Zahlung der Pauschalen nach § 288 Abs. 5 BGB wendet, war vor dem Achten Senat des Bundesarbeitsgerichts erfolgreich. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die geltend gemachten Pauschalen. Zwar findet § 288 Abs. 5 BGB grundsätzlich auch in Fällen Anwendung, in denen sich der Arbeitgeber mit der Zahlung von Arbeitsentgelt in Verzug befindet. Allerdings schließt § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG als spezielle arbeitsrechtliche Regelung nicht nur einen prozessualen Kostenerstattungsanspruch wegen erstinstanzlich entstandener Beitreibungskosten, sondern auch einen entsprechenden materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch und damit auch den Anspruch auf Pauschalen nach § 288 Abs. 5 BGB aus.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25. September 2018 – 8 AZR 26/18 –
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 10. Oktober 2017 – 8 Sa 284/17 –